Wenn eine Stress-Trainerin sturmbedingt in Berlin festsitzt …

„Sind Sie eigentlich stressresistenter und resilienter als andere?!“
Das werde ich gerne mal nach einem Seminartag von Teilnehmern gefragt. Und ich kann an einem aktuellen Beispiel meine Antwort darauf plastisch schildern. Meine Antwort ist nämlich meist folgende: „Ich habe auch Stress oder Zeiten, die mich belasten. Wahrscheinlich habe ich aber oft schnell Strategien verfügbar, die mich da wieder heraus holen.“
Wenn es überhaupt eine Übereinkunft in der noch uneinheitlichen Definition von Resilienz gibt, dann die, dass resiliente Menschen genauso Belastung erleben wie weniger resiliente Menschen, dass sie aber eine gute Anpassung haben und vor allem den unbändigen Willen, dass es ihnen schnell wieder gut geht. Und dafür fix passende Strategien auswählen.

Meine Situation am vergangenen Donnerstag kurz zusammengefasst: Ich war für einen zweistündigen Termin in Berlin Mitte, gegen 15 Uhr wieder unterwegs zum Hauptbahnhof, und die Bahn hatte inzwischen sturmbedingt den Bahnverkehr in großen Teilen des Landes eingestellt. Ich „musste“ noch am selben Tag zurück nach Essen, da ich am Freitagmittag einen Vortrag in Ratingen halten sollte. Das ist aus meiner Betrachtung keine schwerwiegende Krisensituation, die starke Resilienz erfordert, damit die Situation einen nicht nachhaltig beeinträchtigt. Eher eine, die bei dem einen oder anderen wohl akut starke Stressreaktionen verursacht. Und ich hatte irgendwann Stress! Rückblickend macht sie so wunderbar deutlich, welches wirksame Faktoren im Umgang mit Stress (und Krisen) sind.

Zurück in die Hauptstadt: So richtig hat der Mensch ja immer erst ein Bild, wenn er Dinge am eigenen Leib erfährt, in diesem Fall was sich live abspielt, und welche Kettenreaktionen in Gang gesetzt werden, wenn tausende Pendler und Touristen in der Hauptstadt nicht vom Fleck kommen: Denn erst fielen nur die Fernzüge aus, dann, als der Sturm Berlin erreichte, auch Busse und Bahnen, in Folge gab es keine freien Taxis mehr, um von A nach B zu kommen. Wer schnell war, hatte noch einen Mietwagen ergattert. Oder ein Zimmer in den nahegelegenen Hotels. Bisher – so habe ich festgestellt – war ich bei angekündigten Stürmen immer zu Hause, im kuschelig Warmen, mit einem Bett, einer Zahnbürste und frischen Sachen zum Anziehen. Und ohne Beeinträchtigung beim Laufen, weil mich seit Monaten ein Bänderriss plagt. Über die Ereignisse der Stunden bis in den späten Abend kann ich so einige Anekdoten erzählen, angefangen von den ersten Peinlichkeiten mitten vor dem ARD Hauptstadtstudio: Ziehen Sie bei angekündigten Orkanböen nie einen Glockenrock an, ich sage nur „Marilyn“! Über den Umgang mit Fehlentscheidungen, denn ich fand es schlauer, unterwegs aus der S-Bahn auszusteigen, um im warmen Café zu warten anstatt am zugigen HBF, während in dieser Zeit dann auch der öffentliche Nahverkehr zum Erliegen kam. Das war alles andere als schlau. Bis zu den individuellen Auswirkungen des aufkeimenden Stresses, in Anbetracht der Tatsache, dass mein Vortrag am nächsten Tag auf der Kippe stand. „Ich bin genervt! Und ich bin Stresstrainerin!! Und es nervt mich, dass mich das hier nervt!!!“ Liebe Teilnehmer, das haben Sie’s: Ich bin auch nur ein Mensch. ;-)
Aber auch die vielen wirklich aufmunternden Gespräche an diesem Tag bleiben hängen. Das lustige Mädel an der Hotelrezeption hatte mich endgültig wieder zum Lachen gebracht. „Dann schauen wir doch mal, welches schöne Zimmer wir für Sie haben. Unser Currywurst-Zimmer vielleicht? Oh! Sie sind Vegetarierin! Nein, dann geht das selbstverständlich nicht, dann bekommen Sie heute das Wellnesszimmer mit unseren kostenfreien Kosmetikprodukten. Sie sollen nicht ständig auf Wurst gucken. (Und zu Ihrem Kollegen gewandt) Wir sollten jetzt mal eine Zahnbürstenliste anlegen.“ Ich war der vierte Gast in Folge, der beim Einchecken eine Zahnbürste in die Hand gedrückt bekam.

Nun, nach Stunden, saß ich am späten Abend erleichtert und wieder deutlich entspannt in einem Hotelzimmer, zu dem mich irgendjemand (ja, irgendjemand, nochmal ein großes Dankeschön!) gefahren hatte. Auf dem Bett lag die Zahnbürste vom Hotel. In meinem Rucksack war nicht viel, neben ein paar Arbeitsutensilien das Buch „Der resiliente Mensch – Wie wir Krisen bewältigen und erleben“ von Rafael Kalisch. Ich hatte es auf der Hinfahrt, kurz vor Berlin, zugeklappt bei der Zusammenfassung der drei derzeit am besten erforschten Resilienzfaktoren: Optimismus, Selbstwirksamkeit, Soziale Unterstützung. Und musste schmunzeln.

Mein Optimismus (definiert als realistisch positive Bewertung einer Situation) und mein Humor hatten mich an diesem Tag lange bei Laune gehalten. Aber ich wollte auch den Vortrag beim Kunden nicht canceln. Und je länger ich am Bahnhof saß, je größer die Ungewissheit wurde, wie es weitergeht, umso mehr kam Stress auf. Klare Sache. Erst als ich abends aus diesem Zustand heraus eine Entscheidung getroffen hatte, nämlich nicht mehr abzuwarten, sondern den Termin am nächsten Tag jetzt endgültig abzusagen (Akzeptanz der Situation), konnte ich mich in Folge mit freiem Kopf um eine Bleibe und ein Fortbewegungsmittel kümmern. „Ich brauche jetzt ein Bett und muss dahinkommen, im besten Fall nicht mehr laufen, und irgendwie wird das schon funktionieren.“ (Selbstwirksamkeit). Die beste Unterstützung an diesem Tag würde ich sagen, waren aber die anderen Menschen (Soziale Unterstützung): Der Austausch mit den Arbeitskollegen, die Nachrichten von Kontakten über social media, ob man Bekannte in Berlin für eine Unterkunft aktivieren soll, der kurze Informationsabgleich hier und da mit anderen „Gestrandeten“, und alle Berliner, die bemüht waren, einen bei Laune zu halten: die Servicekraft im völlig überfüllten Bahnhofsrestaurant („Setzen Sie sich irgendwo, nur heute nicht wählerisch sein! Haha!"), der nette Privatchauffeur („Ich fahr die schönere Strecke, da sehen Sie noch was von der Stadt“) und natürlich das Mädel von der Hotel-Rezeption. Als ich eine Stunde später nochmal aus dem Aufzug in die Lobby kam, um mir etwas zu trinken zu organisieren, sah sie mich, und flötete mir fröhlich entgegen: „Schaun Se mal! Wir checken hier immer noch Leute ein! Unglaublich!“. Ich weiß nicht, wo die Leute in diesem Hotel alle geschlafen haben, aber sie hat sie alle untergebracht, und wir hatten für kurze Zeit eine Connection und waren Verbündete im Ausnahmezustand. Das Mädel von der Rezeption und ich.

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